Der Talanoa Dialog. Kunst im Horizont der Agenda 2030

Sehr geehrte Damen und Herren,

Als erstes möchte ich mich bei der Akademie der Wissenschaften Schweiz bedanken für die Einladung. Vielen herzlichen Dank. Meine Präsentation ist kein akademischer Vortrag, sondern ein Plädoyer für den Dialog. Alle reden ja heute über die Agenda 2030 und vor allem über den Klimawandel. Und nun kommt also noch ein Künstler der sich dazu äussert und sie mögen sich fragen was das mit dem heutigen Thema «Wissenschaft zeigen» zu tun hat.
Bevor ich dazu einige Aspekte aufzeichne, mache ich ein paar Angaben zu meiner Person: Ich bin bildender Künstler, Musiker und Forscher. Gemäss der Laudatio der Universität Bern bin ich auch „Kritiker, der Verantwortung einfordert, Stellung bezieht und Nachhaltigkeit als Handlungsprinzip im Jetzt definiert“.
Meine Werkprozesse manifestieren sich sehr verschieden. Das verbindende Muster ist die Gewissheit über die wechselseitige Abhängigkeit der Dinge. Kunst ist für mich ästhetische Forschung. Mein Interesse gilt der Wahrnehmung komplexer Systeme, ganz generell den Beziehungen zwischen verschiedenen Paradigmen. Ich möchte mit meiner Kunst partizipieren nicht nur reagieren. Mich interessiert die Kooperation, im Wissen darüber, dass die gesellschaftliche Realität im 21. Jahrhundert zu komplex geworden ist, als dass wir uns den Luxus einer disziplinären Vereinfachung noch leisten können. Last but not least: Während der ganzen Zeit meiner nunmehr 40-jährigen Praxis als Künstler befasse ich mich mit ökologischen- und gesellschaftlichen Prozessen und seit 1992 mit Aspekten der kulturellen Nachhaltigkeit. Die «Agenda 2030» ist mir heute ein wichtiger Kompass.
Die Vision der Agenda 2030 mit ihren 17 Punkten ist die grösste Herausforderung unserer Zeit. Sie ist, egal wie inflationär der Begriff «Nachhaltigkeit» heute verwendet wird, ein gesellschaftlicher Lern- und Veränderungsprozess, der unsere Gegenwart gestaltend mit der Zukunft verbindet.
Wir sind jedoch weit davon entfernt, die vorgegebenen Ziele zu erreichen denn wir tun nicht was wir wissen! Die Lücke zwischen der Welt, wie sie ist und wie sie sein müsste weitet sich.
Einerseits fehlt der politische Wille zu einem grundlegenden Paradigmenwechsel, dies obschon Nachhaltige Entwicklung im Artikel 2 der Bundesverfassung als Staatsziel der Schweiz verankert ist und damit eine alle Behörden verpflichtende Aufgabe ist. Andererseits besteht ein Missverständnis zum Begriff selbst, denn Nachhaltige Entwicklung ist nicht nur Faktenwissen im Bereich der Ökonomie, des Sozialen und der Ökologie, (so wie das diverse Bundesämter immer noch verwenden) sondern zugleich auch Kultur und Bildung. Die UNESCO hält dazu fest, dass nachhaltige Entwicklung und kulturelle Entfaltung wechselseitig voneinander abhängig sind. Dieser Ansatz ist im Allgemeinen noch viel zu wenig bekannt. Aber selbst wenn die Verbindung von Kultur und Nachhaltigkeit, oder gar von Kunst und Nachhaltigkeit noch erstaunen auslösen mag: Es ist eine Verbindung mit Zukunft. Kunst ist ein essenzieller Teil jeder Gemeinschaft und umfasst mehr als formal-ästhetische Verhübschung. Kunstschaffende fungieren als Spiegel, Dolmetscher, Kritiker, Aufklärer und Wegbereiter der Gesellschaft. Ihr Schaffen hat das Potenzial, Antworten auf die komplexer werdenden Herausforderungen unserer Zeit zu liefern. Wir brauchen heute dringender denn je eine erweiterte, fächerübergreifende Sichtweise, einen «Dialog der Kulturen» so wie das der englische Physiker Charles P. Snow bereits 1959 gefordert hat. Er nahm in seinem College in Cambridge mit Unbehagen wahr, dass die Vertreter der Naturwissenschaften, der Philosophie und der Künste, welche die Tradition der alten Artes liberales in die Gegenwart transportieren sollten, sich zunehmend wenig zu sagen hatten und diese Dialogunfähigkeit als vielleicht bedauerlich, aber unabänderlich Entwicklung für gegeben hinnahmen. Snow äusserte in seinem Vortrag «The Two Cultures and the Scientific Revolution» die Befürchtung, die umfassende Auseinandersetzung mit der Natur werde gespalten und verliere das Ganze aus dem Blick, auf das alle Wissenschaften notwendigerweise ausgerichtet sein sollten. Snow versah diese Entwicklung mit einer Wertung, wie er sie im Verhalten ihrer jeweiligen Vertreter zu erkennen glaubte: «Die «Arts» und ihre Gegenstandsbereiche gehören der Vergangenheit an, sie erzählen als «Literatur» lediglich Geschichten und widmen sich dem Gedächtnis; die Naturwissenschaften und ihre Methodik sind dagegen darauf ausgerichtet, die Zukunft in Angriff zu nehmen. Daraus folgt fast selbstverständlich eine Rangordnung: Die Kunst und die Philosophie dienen dem schöngeistigen, für die Bewältigung der wirklichen Lebensprobleme braucht es dagegen die Naturwissenschaften und die ihnen angegliederten Ingenieurswissenschaften mit ihren Technologien. Das naturwissenschaftlich-technologische Paradigma dominiert, das Ästhetische, das dem Idealismus hinterher träumt, unterliegt. Die EINE Kultur wird gespalten, oder wie es der ETH Philosophieprofessor Michael Hampe formuliert: «Es rivalisieren zwei Reputationswelten miteinander, die ihre friedliche Koexistenz längst aufgegeben haben.“

Diese Rivalität ist Unsinn und nicht zukunftsfähig. Wir sind deshalb heute, im Horizont der Agenda 2030, aufgefordert, sie zu überwinden. Mit anderen Worten: Die Vision einer sozial -und naturverträglichen Welt beinhaltet mehr als technisches Know-how und «facts und figures». Genauso wichtig für eine bessere Welt sind ästhetische Kriterien, Emotionen, das Feinstoffliche, Spiritualität und die Fähigkeit zur Vernetzung. Es gibt Werte die nicht in ökonomische Einheiten überführbar sind. Erst in der Erkenntnis der wechselseitigen Abhängigkeit eröffnet sich eine neue Welt. Es ist aus diesem Grund, dass ich, ausgehend von meiner lang-jährigen Forschungsarbeit und den direkten Erfahrungen an den Klimakonferenzen in Paris und Bonn das Projekt «Der Talanoa Dialog» initiiert habe, benannt nach dem «Talanoa Prozess», einem Appell der UNO von 2017 an die Weltgemeinschaft. Das Projekt «Der Talanoa-Dialog» ist ein Brückenschlag zwischen der Kunst, der Wissenschaft und indigenem Wissen. Es initiiert einen konkreten Dialog zur Klimaproblematik zwischen einem Künstler, den Klimawissenschaften und den Sami in Lappland. Wer allerdings als Künstler über Klimawandel einen vertieften Dialog führen will, stösst schnell auf passiven Widerstand. Sei das im Kunstbetrieb, in den Wissenschaften, vor allem aber bei den Behörden und der Politik. Dies obschon im Synthesebericht des «Intergovernmental Panel on Climate Change IPCC» wie auch im «Paris Agreement» darauf hingewiesen wird, dass ein Dialog über alle Grenzen und Hierarchien hinweg dringend nötig ist. Ich zitiere: Many adaptation and mitigation options can help address Climate Change, but no single option is sufficient by itself. Effective implementation depends on cooperation at all scales. (Zitat IPCC Synthese Report 2014)

Zielsetzung des Kunstwerkes «Der Talanoa Dialog» ist es deshalb, einen integrativen Diskurs zu fördern und den daraus gewonnenen Erkenntnisgewinn in einer Kunstausstellung sichtbar zu machen. Dabei geht es insbesondere auch darum, der Politik und der Öffentlichkeit zu kommunizieren, dass die Kunst, aber auch das lokale Wissen, in diesem Fall die Samikultur, bei der Gestaltung einer zukunftsfähigen Moderne von grosser Bedeutung sind. Warum ist das wichtig? In Zeiten des Umbruchs braucht es eine Ästhetik der Achtsamkeit. Wir sind aufgefordert, unser bestehendes Wertesystem zu überprüfen. Die 17 Ziele der «Agenda 2030», zeigen diesen Weg global, regional und lokal auf. Es ist jedoch unverzichtbar, dass jede Person – WIR – die Herausforderung in eigenes Handeln umsetzt. Dazu gehört auch eine neue Respektkultur gegenüber der Natur. Unsere Erde, lange als unerschöpfliche Quelle von Ressourcen angesehen, erweist sich heute als ein überstrapaziertes und erschöpftes Gebilde, das sich aufgrund menschlicher Eingriffe aufzulösen beginnt. Wir leben im Zeitalter des Anthropozäns. Die grossen Herausforderungen wie der Klimawandel, Armut, wirtschaftliche Ungleichheiten, «stranded assets» der Wirtschaft, z. B. die Entsorgung der Atomkraftwerke, der rasante digitale Fortschritt – zeigen, wie sehr ökonomische, gesellschaftliche, ökologische und kulturelle Prozesse voneinander abhängig sind. Alle sind Ausdruck ein und derselben Krise, die in erster Linie eine Krise der Wahrnehmung ist. Wahrnehmung im weitesten Sinn ist die Kernkompetenz künstlerischer Arbeit. In ihr manifestiert sich das Suchen nach Transformation. Die Forderung nach transformativen Lösungsansätzen jedoch meint nichts weniger als das Programm einer tiefgreifenden Revision unserer gesellschaftlichen Werte. Dies wiederum verlangt auch ein Vertrauen in die Entwicklungsfähigkeit des Menschen. Wer anders als wir selber könnte Nachhaltigkeit verwirklichen?
Was heisst das für die Kunst: Kunst und Kultur spielen eine zentrale Rolle auf dem Weg zu einer nachhaltigen Weltgemeinschaft. Längst müsste deshalb das Verhältnis von Kunst, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft durchdacht werden, denn ein ökosozialer Umbau unserer Gesellschaft wird nicht gelingen solang man auf ästhetische Strategien verzichtet.
Die Frage ist: Mit welchem Vokabular kann eine Transformation gelingen? Mir persönlich scheinen 3 Wesensmerkmale zentral zu sein:

  1. Das Prinzip des Dialogs
    Unsere globalisierte Welt verträgt keine Abschottung mehr, sondern braucht Mitgefühl. Nur durch die Vernetzung verschiedener Kompetenzen entstehen zukunftsfähige Lösungen. Als Ganzes erreichen wir mehr. Ich bin deshalb der Meinung, dass die Wissenschaft, die Politik, die Behörden und die Wirtschaft uns Künstler in die Debatte über eine zukunftsfähige Gesellschaft einbeziehen sollten. Als Forscher, als Beiräte, als Botschafter, als Querdenker. Und nicht zu spät.
  1. Die Ebene der Kommunikation
    Es scheint mir unverzichtbar, dass Seitens der Wissenschaften die Forschungsresultate und Erkenntnisse, insbesondere im Klimabereich z.B. den IPCC Reports, auch mit ästhetischem Bewusstsein kommuniziert werden. Hier besteht Handlungsbedarf. Einerseits weil die Medien Faktenwissen meist nur oberflächlich interpretieren, aber auch, weil die kulturellen Ebenen und die soft skills in den Debatten weitgehend ausgeschlossen sind und so «die Skepsis gegenüber wissenschaftlichen Fakten in der Gesellschaft wächst». (Zitat Scnat Präsident Antonio Loprieno) Es braucht deshalb neue Strategien der Kommunikation, nicht zuletzt in Bezug auf die Politik. Die Künste, egal welches Medium, können dabei einen Beitrag leisten.

Ein drittes wichtiges Wesensmerkmal ist aus meiner Sicht die Solidarität. Es sind die symbiotischen Systeme die wir jetzt brauchen. Die Symbiose ist ein in der Natur hochwirksames System von wechselseitiger Abhängigkeit mit existenzieller Wirkung. Ein perfekter sozialer Verbund. Nicht nur geprägt von Konkurrenz und Kompetenzgerangel, sondern auch von Solidarität, denn wer ständig darüber nachdenkt, wie er den anderen mit raffinierten Strategien übertrumpfen kann, verlernt die Fähigkeit der Empathie.
Solidarität bedeutet Vertrauen in das Wir. Ich plädiere deshalb für einen Ethos der gemeinsamen Zukunftsgestaltung. Wie schafft man das? Ein Ansatz zumindest scheint mir plausibel: Die Zeit für Pessimismus ist vorbei. Lasst uns heute gemeinsam für die Welt von morgen handeln. Wenn uns wichtig ist, was für eine Welt wir kommenden Generationen hinterlassen, so sind wir jetzt aufgefordert dezidiert zu handeln. Wir sind gezwungen, den politischen und persönlichen Willen über alle Grenzen hinaus wach zu rütteln. Damit dies gelingt, benötigen wir eine «Symbiose der Verantwortlichkeit». Ja, ich würde noch weitergehen: Die bisher übliche Praxis der rationalen Plünderung unseres Planeten muss durch eine Haltung der Protektion ersetzt werden. Es geht letztlich um das Bewusstsein, unser «gemeinsames Haus» (Zitat Franz von Assisi), unsere Mutter Erde zu schützen, zu ehren und der zynischen Vernunft unserer Zeit Kreativität entgegenzusetzen.

Sehr geehrte Damen und Herren:
Die Wissenschaften und die Künste haben im Kontext der Agenda 2030 auf vielschichtige Weise etwas zu sagen. Ich plädiere deshalb für eine Allianz, eine vertiefte Zusammenarbeit. Es wäre eine Massnahme um die schon geleistete Arbeit vor allem auch in der Klimadebatte besser sichtbar zu machen. Das scheint mir von gesellschaftlicher Relevanz und muss der Politik dezidiert kommuniziert werden. Wir können und wollen nicht mehr länger auf strategisches Geplänkel und populistische Versprechen der Politik vertrauen. Verantwortung kann nicht mehr delegiert werden.

Let’s Walk the Talk. Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.

Public speech at Swiss Academies of Arts and Sciences
Tuesday, 29 January 2019

Download PDF: Der Tanaloa-Dialog. Kunst im Horizont der Agenda 2030