Freiheit, die ich meine

Sehr geehrte Damen und Herren

Freiheit ist ein grosses Wort mit weitem Horizont. Ein kaum zu fassender Begriff, und doch gehört Freiheit zu den zentralen Punkten der menschlichen Ideengeschichte. Ob psychologisch, sozial, kulturell, religiös, politisch oder juristisch, Freiheit wird meist an erster Stelle genannt wenn es darum geht, die Prinzipien der Demokratie zu bestimmen. Der erste Artikel der Menschenrechte der UNO besagt: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Jeder Mensch hat Recht auf Leben und Freiheit. Sehnsucht nach Freiheit hatten auch die Menschen in biblischen Zeiten. Die Psalmbeter kleideten sie, wie wir soeben im Psalm 124 vernommen haben, in poetische Worte: “Unsere Seele ist wie ein Vogel dem Netz des Jägers entkommen; das Netz ist zerrissen und wir sind frei.” Diese Beschreibung der Freiheit gefällt mir gut. Sie ist Ausdruck von Selbstbestimmung, Autonomie und Willensfreiheit. Der Vogel als Metapher der Freiheit des Individuums wie auch der Gattung Mensch. Eine ganz handfeste Befreiungserfahrung machte ja auch das Volk Israel zu Beginn seiner Geschichte: Gott befreite es aus der ägyptischen Knechtschaft. Überhaupt erweist sich Gott in der Geschichte der Menschen immer wieder als grosser Befreier, welcher nicht mit Gefangenschaft straft, sondern einen Vorschuss an Vertrauen und Freiheit gewährt.

Der Wunsch nach Freiheit und Glück lässt sich auch heute nicht unterdrücken.

Was aber ist Freiheit zu Beginn des 21. Jahrhunderts für uns Menschen, in einer Zivilisation, die unglaublich interdependent geworden ist? Was bedeutet sie angesichts einer in exorbitanter Komplexität erstrahlenden Welt, in der wir konfrontiert sind mit einer Vielzahl von Problemen, die von grosser globaler Tragweite sind: Die unbewältigte Finanz- und Schuldenmisere und die damit verbundenen sozialen Ungerechtigkeiten, die ökologische Krise, der Klimawandel, der Verlust biotischer Vielfalt, die Rohstoffverknappung. Der planetare Naturzusammenhang, der lange als unerschöpfliche Quelle von Ressourcen angesehen wurde, erweist sich heute als ein fragiles, überstrapaziertes und erschöpftes Gebilde, das sich aufgrund menschlicher Eingriffe aufzulösen beginnt. In der Tat: Wir stehen heute vor einer Vielzahl von Herausforderungen und sie nehmen an Dringlichkeit zu. Fest steht: Die Denk- und Handlungsmuster der Postmoderne tragen nicht mehr. Das im Westen herrschende materialistische Maximierungsdenken hat die Welt in eine unselige Abhängigkeit manövriert. Die allumfassende Ökonomisierung der Werte ist zudem eine eklatante Bedrohung des europäischen Humanismus und damit auch der Freiheit, die in diesem Kontext unabdingbarer Faktor einer zukunftsfähigen Gesellschaft ist. Wir sind deshalb aufgefordert, auch angesichts der Defizite gesellschaftlicher Visionen „unser Denken und Handeln zu erweitern und unser jetziges Verhalten grundlegend zu korrigieren“. Dies ein Zitat aus dem Potsdamer Manifest von 2005, das von ca. 100 Persönlichkeiten aus der Wissenschaft unter dem Vorsitz von Hans Peter Dürr, Daniel Dahm und Rudolf zur Lippe verfasst wurde. Was heisst diese Forderung konkret? Vorerst, dass die Diskrepanz zwischen dem heutigen Denken und unserem konkreten Tun aufgehoben werden muss.
Mit anderen Worten: Wir tun nicht, was wir wissen. Dieser Widerspruch ist ein ernüchterndes Faktum unserer Zeit. Der Philosoph Günther Anders sagt dazu: „Im Vergleich mit dem, was wir wissen und herstellen können, können wir zu wenig vorstellen und zu wenig fühlen.“

Im Weiteren besagt das Zitat aus dem Potsdamer Manifest, dass im Interesse der Zukunftsfähigkeit bestehende Paradigmen neu interpretiert werden müssen. In der Wissenschaft, in der Politik, in der Kirche und in der Kunst. Der Freiheitsgedanke nimmt in all diesen Wissensformen eine Schlüsselstellung ein. Wobei eine Unterscheidung zwischen der äusseren und der inneren Freiheit zu machen ist. Während äussere Freiheit eine soziale Grösse ist und die harten Fakten umfasst, beschreibt innere Freiheit einen Zustand, in dem der Mensch seine eigenen „inneren“ ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nutzt: den Glauben, die Träume, die Talente, die differenzierte Wahrnehmungsfähigkeit, das Bewusstsein über Spiritualität. Der Schlüssel zur inneren Freiheit basiert auf feinstofflicher Ebene, quasi in der homöopathischen Dosierung, in der sich das Selbst befreien kann. Innere Freiheit ist zudem, gemäss dem Dalai Lama, die eigentliche Quelle menschlicher Kreativität und Entfaltung. Hier nun rücken die Kunst und die oft zitierte künstlerische Freiheit ins Bild. Was mein Sein als Künstler anbetrifft, so bin ich ein Betroffener.

Die Freiheit, die ich meine, war seit meiner Jugend immer in meinen Sehnsüchten. Hier wurde sie stark und hat mich geprägt. Die Prinzipien der Freiheit haben Eingang in mein Bewusstsein gefunden, bis heute besteht ein tiefes Verlangen danach, unabhängig zu sein. Deshalb wohl bin ich freischaffender Künstler geworden. Deshalb auch habe ich Afro-Amerikanistik studiert, diese faszinierende Geschichte der schwarzen Bevölkerung Nordamerikas mit all ihren Bestrebungen nach Befreiung. Die Historie der Sklaverei, der Traum der Bürgerrechtsbewegung (meine Lehrerin war die Bürgerrechtskämpferin Angela Davis), die Aktivitäten der Freedomriders unter Martin Luther King, vor allem aber die entfesselte Kraft der Musik, im Blues, Gospel, Jazz und Rap haben mein Bewusstsein für Freiheitsfragen geschärft. Früh habe ich auch erkannt, dass Freiheit mit differenzierter Wahrnehmung zu tun hat. Mit Kenntnis der Wechselwirkungen, des Ganzen der Welt. Die Freiheit wäre also dort, wo ich beruflich eingebettet bin. Die Realität meines beruflichen Umfeldes, die Gegenwartskunst, ist jedoch eine völlig andere. Die Essenz schöpferischer und spiritueller Freiheit in der Kunst ist in einem von Gier getriebenem Kunstmarkt zunehmend bedroht. Die Omnipräsenz der „Economic Mind“ (der Philosoph Erich Fromm spricht von einem Marketing Charakter, der die Künstler als Tauschwert wahrnimmt) ist eine permanente Gefahr. Die Macht des Geldes, auch in der Kunst, war niemals so gross, so anmassend wie heute, mit Lobbyisten bis hin in die höchsten Ränge des Staates, der Politik und des Kulturbetriebs. Es ist ein Verständnishorizont, der das Streben nach Freiheit ignoriert, ja belächelt und somit die Essenz der Kunst beengt.
Kurzum: Ich befürchte, dass es heute mit der künstlerischen Freiheit genau so bestellt ist wie mit allen anderen Aspekten der Freiheit in unserer Gesellschaft: Wir sind Gefangene unserer selbst und des Systems.

Die Frage ist deshalb: Freiheit und insbesondere künstlerische Freiheit von Was für Was? Freiheit wovon? Freiheit der Kunst wozu? Von Gregory Bateson ist im Buch „Die Ökologie des Geistes“ der wunderbare Satz überliefert: „Freiheit ergibt sich aus der Einsicht in das Notwendige.“ Diese Aussage hat in mir über Jahre Resonanz erzeugt. Sie fragt subtil danach, was Notwendigkeit bedeutet: Drei relevante Wesensmerkmale stehen im Vordergrund: Ethik, Verantwortung und Solidarität.

Ethik
Die ethische Bedeutung von Freiheit behandelt die moralische Verantwortlichkeit. Sie fragt zum Einen nach den Gründen, die unser individuelles und kollektives Handeln mit der zwischenmenschlichen aber auch aussermenschlichen Natur bestimmen. Zum anderen fragt sie danach, wie diese Massstäbe umgesetzt werden können. Dabei steht die Förderung solcher Kompetenzen im Vordergrund, welche die Menschen empathiefähig, kooperationsfähig und kritisch im Umgang mit Machtstrukturen macht. Freiheit, vom Kontext ihrer gesellschaftlichen Bedingungen losgelöst, gibt es nicht. Frei sind wir nach wie vor um JA zu sagen. Im Sinne der Verantwortungsethik ist positive Freiheit eine Frage der rechten Motivation. Freiheit heisst Befreiung von schlechten Angewohnheiten, schlechten Gedanken oder schlechter Motivation. Wir sind nur dann frei, wenn wir nicht mehr unter negativen Emotionen leiden. Diese Art von Freiheit allerdings bedingt üben, üben und nochmals üben. Ich gebe zu, es ist anstrengend. Freiheit führt dann zu Glück, wenn Menschen verantwortlich handeln.

Verantwortung
Viele Menschen wünschen sich grenzenlose Freiheit. Die Werbung vermittelt sie uns tagtäglich. Alles scheint möglich, zumindest was den Konsum und die Mobilität anbetrifft. Aber nicht Alles was machbar ist dient zum Guten, denn mit der Freiheit kommt die Verantwortung. Freiheit und Verantwortung sind untrennbar. Ja, meines Erachtens ist Freiheit ohne Verantwortung gefährlich, denn absolute Freiheit ist nicht nachhaltig orientiert. Wir sind also angehalten eine grundlegende Frage zu stellen: Wie viel individuelle Freiheit ist gut für eine nachhaltig wirkende Lebensweise? Ich bin überzeugt: Alles hängt davon ab, ob wir in der Lage sind, die Herausforderungen gemeinsam und kreativ zu bewältigen. Die Forderung nach mehr Kreativität meint nichts weniger als das Programm einer tiefgreifenden Revision unserer gesellschaftlichen Werte. Dies jedoch verlangt auch ein unbeirrbares Vertrauen in die Entwicklungsfähigkeit des Menschen. Es braucht den Glauben an das globale Wir. Was nun die Kunst anbetrifft, so ist die Verantwortungsfrage von grösster Aktualität. Es ist meine Überzeugung, dass Verantwortungsbewusstsein als wesentliche Dimension zum künstlerischen Vokabular gehört. Kunst ist für mich kein hermetisches Werk von EinzelgängerInnen, sondern basiert auf Zusammenhangsbewusstsein. Sie ist Brückenbauer zwischen den Denkwelten und besitzt, ich zitiere Wassily Kandinsky, „eine ihr ausschliesslich zugehörige Qualität, nämlich die, im „Heute“ das „Morgen“ zu erraten, eine prophetische Kraft“. (Essay Jede geistige Epoche, 1942)

Das Wissen über diese Qualität ist die Verantwortung der Kunst. Unter dieser Prämisse ist Freiheit konstitutives Element einer zukunftsfähigen Gesellschaft.

Solidarität
Der schlimmste Gegner der Freiheit ist die Gleichgültigkeit. Gleichgültigkeit ist kein anderer Name für Freiheit. Gleichgültigkeit ist vielmehr ein anderer Name für Verantwortungslosigkeit. Frei sein heisst für mich solidarisch sein. Und zwar in Bezug auf die gesamte Schöpfung und im Wissen darum, dass im 21. Jahrhundert eine Reduzierung auf Partikularinteressen und anthropozentrische Sichtweisen nicht mehr tolerierbar ist. Die individuelle Freiheit endet dort, wo sie die Freiheit anderer einschränkt. So mahnte auch Paulus im 1. Korintherbrief: „Die Freiheit soll nicht entzweien und für Unfrieden sorgen, sondern der Einheit der Gemeinde dienen.“
(1 Kor. 8,9)

Kunst in diesem Kontext basiert auf Netzwerkarbeit. Sie entzieht sich dem Zwang der rein materiellen Diktate, macht mit ihrem Wirken komplexe Zusammenhänge sichtbar, forscht und gestaltet, bezieht Stellung und definiert Nachhaltigkeit als Handlungsprinzip im Hier und Jetzt. Vor allem aber fördert sie die transnationale Verständigung zum Wohl der Gemeinschaft. Die entscheidende Frage für mich als Künstler ist: Wie schafft man Kunst, welche als oberste Prämisse die Vernetzung kommunikativer Beziehungen ins Zentrum stellt und so in eine andere Verantwortungskultur führt? Ich möchte meinen kleinen Vortrag mit ein paar persönlichen Stichworten zur Freiheit und einem Wunsch abschliessen:

Frei sein heisst, Orientierung nicht allein aus dem beziehen, was faktisch vorliegt, sondern empfänglich sein für die feinstofflichen Kräfte der Welt.

Freiheit, die ich meine, denkt und handelt auf die Zukunft hin, und bedeutsamer noch, von der Zukunft her.

Freiheit, die mir wichtig erscheint, ist dem integrativen Bewusstsein verschrieben, dem Wahrnehmen und Erleben der grossen und kleinen Zusammenhänge.

Last but not least der Wunsch: Ich wünsche mir, dass sich unsere Gesellschaft tolerant, wertbewusst und vor allen Dingen in Liebe zur Freiheit entwickelt. Oder um Joachim Gauck zu zitieren: “Die Freiheit der Erwachsenen heisst Verantwortung“. (Joachim. Gauck, Freiheit, Ein Plädoyer, 2012)

Besten Dank für ihre Aufmerksamkeit.

Speech at Christkatholische Kirche St. Peter and Paul, Bern. 14 May 2013

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