Laudatio Grosser Kulturpreis der Stadt Thun

Laudation auf Dr. George Steinmann 2018

Sehr geehrte Herr Stadtpräsident,
Sehr geehrte Mitglieder des Gemeinderates,
Hochgeschätzte Kulturkommission,
Sehr geehrte Damen und Herren, verehrter George Steinmann

Die Stadt Thun verleiht Dr. George Steinmann ihren grossen Kulturpreis. Sie zeichnet eine Persönlichkeit aus, deren Engagement von Zeitgenossenschaft geprägt ist, vom Entwurf dessen, was es bedeutet, in der Gegenwart zu leben und diese zu gestalten und zu verorten.  

Mit Zeitgenossenschaft möchte ich den Anspruch des Preisträgers bezeichnen, die Fragen zu stellen, deren Beantwortung nicht warten kann- Mit Zeitgenossenschaft wird die Bereitschaft benannt, sich unmittelbar einzumischen in das Jetzt, damit wir der Zukunft als Menschen entgegensehen können.

Doch aus welcher Position beobachtet, reflektiert und handelt George Steinmann? Wie verortet er sich, positioniert er sich in der Gesellschaft? Steinmann übernimmt Verantwortung, nicht als Manager, nicht als Politiker und nicht als Techniker, sondern als Künstler. Empathisch befragt er seine Rolle in der Spezifik, der Freiheit und dem Potential von Gestaltung.

Sein eigener Lebensweg trug zur Ausformung eines immer wieder erweiterten, ausdifferenzierten und höchst anspruchsvollen Entwurfs vom Künstler bei: als Musiker, als Maler , Forscher, Kommunikator und Visionär.

Da ist der Gang in die Ferne, mit 19 folgte er dem Ruf von Anita nach Finnland –arbeitete bereits früh als Grafiker und Musiker, studierte ab 1976 bei Franz Fedier in Basel bevor er 1978 ganz gezielt nach San Francisco aufbrach, um sich am Art Institute für Malerei, Afroamerikanistik und Sound einzuschreiben. In diese Zeit fällt nicht zufällig der Beginn einer intensiven Beschäftigung mit der politischen Dimension von Kultur.

Steinmann lernte die Konsequenzen kennen, welche eine Arbeitsweise jenseits des Kunstmarktes und dessen Fixierung auf das Objekt mit sich bringt. Er hielt immer an seiner künstlerischen Überzeugung fest, dass ein Werk gesellschaftliche Relevanz über die Selbstreferentialität der Kunst hinaus besitzt. Und es mag hier darauf verwiesen werden, dass ein frühes Stipendium des Kantons Bern Motivation und Bestätigung bedeutete. Auch das angesehene Aeschlimann Corti Stipendium (1980,1988), der Meret Oppenheim Preis (2001) oder auch der Kunstpreis Estlands waren mehr als die Anerkennung als wichtiger Künstler, sondern ermöglichten Dir ein Stück der Freiheit, die es für eine wirklich relevante Kunst so unbedingt braucht.

Es ist aus dieser Freiheit heraus, dass George Steinmann für die Verortung der Kunst in der Mitte der Gesellschaft einsetzt – nicht als Konsumobjekt sondern als Dimension der Einmischung, der Reflexion und der Verbindlichkeit. In der Schweiz und international verwirklichte er bedeutende Arbeiten im öffentlichen Raum (Steinmann erhält 2017 den Prix Visarte für Kunst im öffentlichen Raum).

Machen Sie sich doch am nächsten Wochenende einmal auf nach Saxeten, einer der ärmsten Steuergemeinden des Kantons Bern, die Steinmann von 2002-2006 zu einem Ort der Intervention machte. Begehen Sie die wunderschöne Brücke und suchen Sie Schutz in der kleinen Klause aus Lärchenholz, die sich wie eine Kapelle in die Landschaft fügt – sie werden eine Wirkmacht von Kunst erfahren, die sich im Gespräch mit dem Bauer fortsetzt, der unseren Studenten so stolz einen Mittagstisch zubereitete und voller Staunen von den vielen neuen Gästen aus der ganzen Welt erzählt. Nun begreifen Sie ganz schnell, was Steinmann als «prozessorientiertes» Arbeiten versteht.

Seine Ausstellungen in Los Angeles, Breda, Helsinki, Winnipeg, Toronto, Zürich oder Frankfurt verbinden die Ästhetik von Bild und Stofflichkeit mit dem Verweis auf das, was man als künstlerische Forschung bezeichnet. Wie ein Labor erscheinen gesammelte Substanzen, beobachtete Prozesse der Transmutation.

Es ist vor allem die eine Frage, die Du, lieber George, mit so grosser Ernsthaftigkeit, immer wieder neu stellst: Was kann die Kunst beitragen zu einem neuen Sehen der Welt, zu einem neuen Handeln in dieser Welt? Du wirkst an der grossen Aufgabe der Gegenwart mit, die ich als «ökologischen Imperativ» bezeichne. Es soll die Kunst sein, die in ihrer beobachtenden und bildenden Dimension Handlungsoptionen im Anthropozän entwirft. Welche Substanzen und welche Formen offenbaren Phänomene, die sowohl die Zerstörung der Natur anzeigen, wie auch auf Kräfte verweisen, an der Zukunft zu arbeiten.

Du referierst und diskutierst auf internationalen Tagungen mit Wissenschaftler _innen und Politiker_innen, Forscher_innen und Philosoph_innen. So belesen und informiert Du bist – ein reines Gedankenspiel ist dies für Dich nie, sondern immer eine höchst konkrete und direkte Arbeit mit der Materie und mit der Gesellschaft.

Wer einen solchen Anspruch stellt, muss ihn persönlich einlösen. Wenn Du heute als bedeutender Künstler der Gegenwart geehrt wirst, dann wirst Du auch als Persönlichkeit angesprochen, die mit grosser Herzlichkeit und beeindruckender Aufrichtigkeit für das Miteinander einsteht.

Unsere Freundschaft begann mit Neugier und wärt nun über 10 Jahre. Du wurdest zu einem der wichtigsten Partner im Aufbau des neuen Lehrstuhls einer Kunstgeschichte der Gegenwart. Es ist mir eine Ehre, immer wieder mit Dir diskutieren zu dürfen, Deine Arbeit zu begleiten, mit Dir zu streiten und für die Stadt Thun diese Laudatio auf Dich halten zu dürfen. Lieber George, wir gratulieren Dir und wir brauchen Dich, heute und in Zukunft!

Laudation on the Grosser Kulturpreis der Stadt Thun by Prof. Dr. Peter J. Schneemann, 2018. 

Laudatio Prof. Dr. Peter J. Schneemann